Familienreferat


Wandern: Engadin - Morteratsch - Pontresina - 13-14.08.2005

Nach der Pleite vom letzten Wochenende beschließe ich, mit den Kids und Au Pair Natalya ins Engadin zu fahren. Schließlich ist Ferienzeit und etwas gemeinsame Freizeit sollte schon noch stattfinden.

Überraschend gesellt sich Angelika (Nordlichtangel) zu uns. Selbst die Bemerkung, daß ich mit den Kids komme, schreckt sie nicht ab. Sie kennt sie ja von Sylvester her. Wir beschließen, uns auf dem Campingplatz Plauns im idyllischen Morteratschtal niederzulassen.

Angelika reist schon am Freitag abend an und bittet um ein paar Tourenvorschläge für den Samstag, die sie aus meinem Engadin-Erfahrungsschatz gerne bekommt.

Wir fahren mit Sack und Pack am Samstag um 09:00 los und sind um 13:00 am Campingplatz, dessen Rezeption bis 15:00 geschlossen ist. Nee, den ganzen Nachmittag verplempern, haben wir keinen Bock und entschließen uns, zur Bovalhütte aufzusteigen. Ich überlege erst, über den Morteratschgletscher aufzusteigen, verwerfe jedoch den Gedanken, da wir kein Seil (das ist auf dem aperen Gletscher auch nicht nötig) aber vor allem keine Steigeisen dabei haben. Der Gletscher weist kaum Spalten auf. Vom Eisbruch ist in den letzten 2 Jahren so gut wie nichts übrig geblieben. Die schneearmen Winter haben dem Gletscher arg zugesetzt. Vor 2 Jahren konnte man sich stundenlang in dem Eislabyrinth vergnügen. Jetzt ist er flach.

Nach dem Bahnhof Morteratsch biegen wir rechts ab den Berg hoch, um nicht in der Karawane der Fußkranken zum Morteratsch-Gletscher zu laufen.

© Lisanne 2005
Morteratschpanorama

Zunächst ist der Höhenweg auch recht menschenleer und es gibt ein paar prima Boulderfelsen für die Kids, die ausgiebig getestet werden.

© Lisanne 2005
Anni klettert

So nach und nach füllt sich der Weg mit absteigenden Tagesgästen von der Bovalhütte. Überraschenderweise treffen wir Angelika im Abstieg (nee, hab ich mir doch gleich gedacht, daß sie hierher geht) und die Kids beschließen, daß sie zu einem weiteren Aufstieg jetzt keine Lust mehr haben. Auch gut, ich war schließlich schon mal auf der Bovalhütte.

Ich verspreche den Kindern noch einen Abstecher an den Morteratschgletscher, denn einen Gletscher haben sie noch nie aus der Nähe gesehen. Lotta wird immer zickiger und bockt schließlich ganz. Wundert mich, den seit neuestem hat sie ihre Leidenschaft für die Berge entdeckt, findet die Berggegend wunderschön und pfeift sich Bruckmann Bergvideos rein. Das muß was anderes sein. Kaputt ist die nach so einer kurzen Wegstrecke nicht.

Richtig, Lotta hat einen Mordsschiß vor dem Gletscher. Da hilft nur, Lotta vom Gegendteil zu überzeugen. An Mamas Hand nähert sich Lotta vorsichtig der Gletscherzunge und wir haben das große Glück, daß sich in den letzen 2 Jahre ein riesiges Gletschermaul rechts aufgetan hat. Da muß man über Stock und Stein hin. Herrliche Blautöne umgeben uns und von der Decke tropft unaufhörlich das Wasser in den Nacken. Aber das kratzt die Kinder natürlich nicht.

© Lisanne 2005
Gletscherhöhle

So ganz geheuer ist mir die Sache nicht, zumal am Eingang ein paar fette Eisbrocken liegen und man wirklich nicht weiß, wann die nächsten von der Decke runterkommen. Ich treibe ein wenig zur Eile. Ann-Sophie findet einen großen, klaren, in Jahrhunderten gewachsenen Brocken Eis, in einer Sekunde zerschellt er in den Steinen- ja die Ewigkeit ist auch vergänglich.

© Lisanne 2005
Ganz schön kalt der Brocken

Wir entschließen uns, ein wenig auf der Gletscherzunge rumzuspazieren. Lotta an meiner Hand. Spalten gibt es hier unten als Anschauungsmaterial leider keine. Solange wir im Dreck auf dem Gletscher tappen, droht auch keine Rutschgefahr, wobei es hier eh nicht steiler als 20% ist. Ein paar Meter über uns beginnt das Blankeis und es steilt ein wenig auf. Eh jetzt hier noch einer fliegen geht und sich die Tapete an den Armen aufreißt (Ann-Sophie macht kurze Bekanntschaft mit dem messerscharfen Gletschereis) beschließe ich den Rückzug. Lotta hat keine Angst mehr und Ann-Sophie einmal mehr ihre Trittsicherheit unter Beweis gestellt.

© Lisanne 2005
Wasserfall

Nun haben aber alle mächtigen Hunger. Am Campingplatz Plauns bei Pontresina (wirklich empfehlenswert) ist das Zelt und die Infrastruktur mit vereinten Kräften schnell aufgebaut und nach einer Stunde steht das Essen auf dem Tisch. Tortellina à la Carbonara. Spaghetti Bolognese ist bei mir strikt verboten, weil man mit diesem Papp schon genug auf Hütten traktiert wird.

© Lisanne 2005
Zeltaufbau

Nach dem Essen und Abwasch zieht es die Kids sofort auf den schönen Spielplatz, wo sie bis 22:00 im Dunkeln rumtoben. Danach wird es richtig schattig. Die Nacht verspricht saukalt zu werden und wir steigen mit voller Montur in die Schlafsäcke. Die Schlafsäcke werden noch über den Kopf gezogen, aber man kann nicht sagen, daß es kuschelig warm wird. Um 08:00 stehen fast alle freiwillig auf und Lotta kratzt das Eis von den Autoscheiben. Der Himmel ist noch wolkenfrei und so langsam wärmt die Sonne, so daß wir unser warmes Rührei fast genießen können.

Der Wetterbericht bringt morgens Sonne mit längeren Aufheiterungen und am Nachmittag Regen. D.h. bis 15:00/16:00 sollten wir unbedingt wieder im Tal sein. Wir nehmen die alte Standseilbahn von Muottas Muragl, die beindruckend steil sich den Berg hochwindet. Sogar Angelika - eigentlich kein Seilbahnfan - muß zugeben, daß die Fahrt lohnender ist, als der Endloshatsch rauf, den ich meinen Kids nicht zumuten will, denn dann haben sie oben die Nase voll vom Laufen.

© Lisanne 2005
Hurra… Ist die Muottas Muragl Bahn steil…

Vom Bergrestaurant - für Double Income no Kids, eine erste Gourmetadresse am Abend - führt der Weg über eine Hochebene mit sanftem Anstieg 400hm auf die Segantinihütte, die überaus idyllisch oberhalb der Oberengadiner Seenplatte liegt.

© Lisanne 2005
Muottas Muragl

Wenn der Wind nicht so grausam gepfiffen hätte, wäre der Genuß noch besser gewesen. Schnell wird die Gegend abgeknipst.

© Lisanne 2005
Blick auf die Oberengadiner Seen

Die meisten Leute ziehen sich daher nur was Warmes an und gehen weiter.

© Lisanne 2005
Segantinihütte… Idyllisch…

Es pfeift immer noch grausam und Lotta hat ihre Jacke im Auto liegen gelassen. Also muß Mamas Goretexjacke herhalten und Lotta sieht aus wie ein wandelndes, kleines, grünes Zelt. Hoffentlich fliegt sie nicht weg, weil sie jetzt noch mehr Angriffsfläche gegenüber dem Wind bietet. Der Weg führt zum Glück vom Kamm hinunter in den Hang und ist zu einem anschaulichen Gletscherlehrpfad ausgebaut, dessen Schautafeln die Kids eifrig studieren.

© Lisanne 2005
Auf dem Steinbockweg

Der Wind läßt nach und es läßt sich über einige übersicherte Kletterstellen vorzüglich wandern. Der Weg füllt sich. Hab ich mir doch gedacht, daß es hier nicht menschenleer zugeht. Am Abzweig zum Piz Languard, wohin der Steinbockweg weiter führt beschließe ich mit den Kids den Abstieg, weil der Wind nun gänzlich aufgehört hat und sich damit unmittelbar der Regen ankündigt. Die dunklen Wolken ziehen sich immer mehr zusammen, wie ich es vermutet habe.

© Lisanne 2005
So langsam braut sich was zusammen

Angelika will allein lieber auch nicht weitergehen und so steigen wir über die Bergstation Alp Languard (nein wir laufen und nehmen nicht den Lift) nach Pontresina ab. Auf der Bergstation tobt ein Kulturevent mit Baß und E-Klavier, aber die Musik ist garnicht so schlecht. Die ersten Tropfen fallen schon und wir packen lieber zusammen.

© Lisanne 2005
Letzte Rast vor dem Abstieg

© Lisanne 2005
Konzert auf der Alp Languard

Wir schaffen gerade die letzte Serpentine in den Ort hinein und der Platzregen bricht los. An der Bushaltestelle kommen wir trocken unter und ich nehme den nächsten Bus nach Muottas Muragl, um das Auto zu holen.

Das hat gerade gereicht. Es gibt nix Schlimmeres als mit Kindern im Platzregen einen schlammigen Berg abzusteigen. Erwachsene machen das ja auch nicht gern, aber mein Lottchen kriegt da ganz schnell die Krise, wenn es rutschig wird.

Wir machen noch ein wenig Sight Seeing mit dem Auto durch das regnerische St. Moritz - ein abschreckendes Beispiel muß sein - und arbeiten uns über Celerina (schmuckes neues Städtchen, im Stil der Gegend), Samedan, La Punt, Madulain nach Zuoz (mein erklärtes Lieblingsendadingdorf) vor. Alle bestaunen die wunderschönen alten Engadiner Häuser. Ich stelle fest, daß in den letzten Jahre ganz schön heftig gebaut wurde, bin aber dankbar, daß keine Zweckplattenbauten entstanden sind sondern alles im Stil der Region.

Also droht hier nicht der architektonische Alptraum französischer Skigebiete.

Wir bringen Angelika zurück an ihr Zelt, es hat aufgehört zu regnen und ich gebe Angelika für morgen den Tip über St. Moritz Bad - Hahnensee - Fuorcla Surlej in Richtung Coaz Hütte zu gehen. Das Wetter soll ja wieder brauchbar werden. Das wird ein herrlicher Panoramaweg mit beeindruckender Gletschersicht.

Für die Rückfahrt wähle ich diesmal den Albulapaß über Preda, Bergün, Filisur, Tiefencastel. Auch mal wieder schon. Ich beschließe, wieder öfter ins Engadin zu fahren. Mit 3,5 Stunden hält sich die Fahrzeit in Grenzen und die Übernachtung (40 Sfr) auf dem Campingplatz ist damit auch für Familien bezahlbar, was man von Hüttenübernachtungen leider nicht sagen kann. Da sind dann schon fast 200 Sfr für die übliche Halbpension fällig.

Fazit: Der vielgerühmte Steinbockweg hat mich eigentlich eher enttäuscht. Wie befürchtet, ist es eine Tourirennbahn erster Güte. Völlig entschärft und überlaufen. Einzig die Aussicht reizt. Aber die hat man auch von anderen, weniger überlaufenen Wegen.

Das Engadin hat eine Menge zu bieten von Wanderweg bis hochalpin und abseits von Pontresina und St. Moritz gibt es noch genügend einsame Wege.

Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als kein Mensch im Sommer ins Engadin gefahren ist und dies ein reines Wintersportgebiet war. Die Hotels schickten Rundschreiben mit Sonderangeboten für die Sommermonate. Leider vorbei... alles unterliegt dem Wandel.

 

zur Hauptseite


Copyright (c) 2005 Sektion Alpen.Net