Zwei Tage Wetterstein


Eine Tourenerinnerung unseres neuen Tourenführers Frank Weber :


Wieder einmal war das Fernsehen schuld, diesmal mit einer Ausgabe von »Unter unserem Himmel« im Bayerischen Rundfunk. Ein Bericht über den alten Weg auf die Zugspitze durch das Reintal infizierte uns im April mit dem »Das-machen-wir-auch-Virus«. Im August kam die Infektion schließlich zum Ausbruch:
Das Wetter lässt endlich zwei schöne Tage erhoffen. Rasch sind wir mit dem Auto von Ehrwald hinüber zur Talstation der Kreuzeckbahn und mit einer der ersten Gondeln hinauf zum Kreuzeck. Der Tag ist noch jung, die Luft klar und die prickelnde Kühle der Nacht noch nicht verflogen.
Die Seilbahnfüllung verflüchtigt sich auf die verschiedenen Wege und nach wenigen hundert Metern sind wir allein. Niemand folgt uns auf dem schmalen Pfad, der von hier aus fast ständig fallend ins Reintal zur Bockhütte führt.
Eine verkehrte Welt ist das: Wir starten von oben nach unten, die Vegetation wird dichter statt lichter. Als die Sonne beginnt den Osthang merklich aufzuheizen bietet uns der Wald kühlenden Schatten. Immer wieder rückt das Jagdhaus Schachen ins Bild. Der Neuschwanstein-Ludwig wusste schon, wo‘s schön ist!
Eine kleine Holzhütte hinter einer Wegbiegung findet bei den Kindern großes Interesse. Im Holzlager findet sich allerhand Gerät und eigentlich hätte für sie die Wanderung hier enden können.  
Tagelanges Spielvergnügen wäre sicher. 

Unser Hund nutzt die Gelegenheit zum Durststillen aus einer Viehtränke  und zum Herumstöbern.


Unter den Bernhardeinwänden und der Stuibenwand entlang führt der Weg zum Ostende des Blassengrates wo er sich nach Westen und hinunter zur Partnach wendet. Ein Stahlseil begleitet uns ein kurzes Stück des Wegs. Eigentlich kaum nötig hilft es vielleicht manch‘ weniger Trittsicherem moralisch über das kurze Schrofenstück.  Das ist auch gut so, denn niemand, der auf ordentlichem Weg über etwa drei Stunden vom Kreuzeck oder Garmisch bis hier gekommen ist, sollte wegen der gut 100 Meter umkehren müssen.
Die Bockhütte erinnert, wenn man sich wie wir von hinten nähert, an das Hexenhaus aus den Märchen der Jugendzeit. Märchenhaft ist auch der Blick, hinein ins Reintal, hinauf in Richtung der Gatterlköpfe. Dass wir morgen irgendwo dort oben herumlaufen werden ist kaum vorstellbar. Brot, Würstchen, Bier und Diesel schmecken nach langer Wanderung und hier am derben Holztisch besser als sonst irgendwo auf der Welt.

 

 

  
Für die grandiose Bergwelt haben die Kinder weniger Sinn als für die Partnach und deren endlosen Spielmöglichkeiten. Die ersten Stauanlagen befinden sich bald im Aufbau. Und Bea, unsere Sennenhündin, spielt ausgelassen mit dem jungen Hüttenhund.
Haben wir bis hier hin nur vier schwer bepackte Leute im Gegenverkehr getroffen, heißt es nun aufpassen. Der fast-Fahrweg zur Angerhütte scheint ein beliebter Mountainbike-Trail zu sein. Zwischen Respekt und Ärger schwanken unsere Gefühle, je nachdem wie die Zweiradartisten daherkommen.
Das kristallene Wasser der Blauen Gumpe zieht uns in seinen Bann. Können abweisende Schroffheit und ebenmäßige Farben besser harmonieren als hier?
Der Weg wird steiler, Radler beginnen zu schieben, der Wunsch endlich da zu sein wächst. Eine zur Zeit fast trockene Gumpenschlucht lässt den Entdeckergeist der Kinder noch einmal kurz aufflackern. Ein letzter Rechtsschwenk, und wo eben noch das Tosen des Wasserfalls laut ans Ohr drang umfängt uns Stille; das Wasser der Partnach hat sich viele Meter tief in den Wettersteinkalk eingeschnitten.
Ankünfte haben etwas Magisches - zumindest bei Kindern: Eben noch erschöpft und schon fast zu müde um überhaupt noch einen Schritt machen zu können, toben sie nun angesichts der Reintalangerhütte  
, als müssten sie den Dampf von vielen stillsitzend verbrachten Schulstunden ablassen. Unser Sohn müht sich nach Kräften, aus einem gebrochenen Brett eine Brücke über einen Arm der vielfach verzweigten Partnach zu bauen

  
, die Tochter hat schnell Freundschaft mit einigen der frei herumlaufenden Schafe geschlossen.
Eine Jugendgruppe des DAV übt an der Giebelseite des Hauses Prusiken. Alle sind mit Feuer und Flamme dabei. Für den Abend ist ein Lagefeuer geplant, an dem unsere Beiden teilnehmen dürfen. Nach dem Brückenbau geht unser Sohn nun im Holzsammeln auf.
Während später die letzte Glut verglimmt schallt von unten die Stubenmusik herauf, mit der der Hüttenwirt und seine Leute ihren arbeitsreichen und unseren erlebnisreichen Tag ausklingen lassen.
Früh wollen wir los am anderen Morgen, ich habe meinen Wecker auf kurz nach Sechs gestellt. Doch schon gegen vier wird das Rauschen des Regens so laut, dass es sich nicht mehr in dem der Partnach verstecken kann. Blitze erleuchten die beiden kleinen Himmelsvierecke der Stubenfenster, Donner rollen wie schwere Güterzüge durchs Tal, der Himmel ist in schwefliges Gelb getaucht, unsere Pläne lösen sich im Wasser auf.
Ebenso langsam, wie der Regen nachlässt wächst zaghaft die Hoffnung, doch noch wie geplant übers Gatterl nach Ehrwald gehen zu können. Um acht Uhr schließlich versuchen wir es, der Himmel zeigt erste blaue Flecken nach dem Kampfgetümmel der Gewitternacht, die Luft ist wasserschwer wie ein Schwamm, es ist zu warm für die frühe Stunde. Mit Jacke wird man von innen, ohne von außen quatschnass.
Vorbei am Partnachursprung queren wir bald schon den Oberanger mit seinem über 100 Jahre alten, vom Blitz vor langer Zeit gespalteten Bergahorn. Das Gipfelrund über uns ist wolkenverhangen, der Weg hinauf zur Knorrhütte entsprechend aussichtslos. Nur der Blick zurück lässt uns die Angerhütte immer weiter unten sehen.
Jede Menge Schafe haben die Nacht im Schutz der großen Blöcke rechts und links des Weges verbracht und fressen nun blökend das frisch gespülte Grün. Bea gerät ganz aus dem Häuschen, schließlich ist sie als Sennenhund von Hause aus ein Hütehund. Da fuchst es sie schon sehr, dass diese Schafe einfach so verstreut herumstehen und -laufen. Wie gerne würde sie da mal für Ordnung sorgen, wenn wir sie doch nur ließen!
An der Knorrhütte in 2.050 m Höhe  
freuen wir uns nach gut 2 Stunden, den heutigen Hauptaufstieg hinter uns zu haben und Pause machen zu können.
Der Steig übers Platt ist vollkommen unproblematisch und zügig rücken von rechts die Wände der Gatterlköpfe, von vorne zwei Zoll-Diensthütten und schließlich das Gatterl selbst näher. Das letzte Stück hinauf ist, obschon mit Drahtseilen versehen, weit harmloser, als drüben der sicherungslose Abstieg ins Trauchlet.
Etwas albern wirken diese paar Meter Grenzzaun mit dem namensgebenden Törchen schon hier auf rund 2.000 Meter mitten in
den Felsen.  

Was soll's, politisches Kalkül kann nur selten den Anspruch erheben, nachvollziehbar zu sein.
Übers Feldern-Jöchl und die Scharte Am Brand steigt der Weg ein letztes mal an, um dann, nun schon im Gaistal zwischen Wetterstein und Miemingern, stetig fallend der Hochfeldernalm zuzustreben. Noch einmal pausieren wir, aber kurz nur, denn der Elan des Wetters zum Guten ist verbraucht, die Regenwahrscheinlichkeit wird so hoch, wie die, im Lotto nichts zu gewinnen.
Das letzte Stück von der Ehrwalder Alm nach Hause schlagen wir dem inzwischen stark einsetzenden Regen ein Schnippchen und gondeln hinunter. Heute wie gestern liegen schließlich wieder 7 herrliche Stunden in den Bergen hinter uns.


Text&Bilder : Frank Weber


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